Logo
Titelbild

Erstellt
22.11.2018 18:14

von
GeeDee

bearbeitet
09.03.2022 22:01

von
es


Pendelstützen tragen die Yorckbrücken

So mancher fragt sich, warum die unansehlichen, rostigen, mit Graffiti übersäten Yorckbrücken seit 1993 unter Denkmalschutz stehen. Andere fragen, warum nicht schon früher. Und vor allem fragt man sich, warum das Denkmal nicht restauriert und gepflegt wird. Aber da geht es den Yorckbrücken wie so mancher Industrieanlage. Es hat lange gedauert, bis Fabrikgebäude, Industrieanlagen oder, wie in diesem Fall, außer Betrieb genommene Eisenbahnbrücken als erhaltenswert erkannt wurden. Ein Schlösschen oder ein mit Türmchen und viel Stuck verziertes Eckgebäude haben es da wesentlich leichter. Dabei liegen der Park am Gleisdreieck und der Flaschenhalspark auf einem verkehrsgeschichtlich besonderen Stadtgebiet. Und davon legen die Yorckbrücken Zeugnis ab. Hier wurde der gesamte Personen- und Güterverkehr vom Potsdamer Bahnhof, Dresdener Bahnhof und vom Anhalter Bahnhof in den Süden abgewickelt. Mit pfeifenden und qualmenden Dampflokomotiven! Was heute Wiese und Park ist, war früher überfüllt mit Bahnsteigen, Laderampen und Gleisen. Der enorme Bahnbetrieb brachte mit der Zeit 45 Gleisachsen hervor, welche die Yorckstraße überquerten. Da die Brücken zu unterschiedlichen Epochen und von verschiedenen Bahngesellschaften errichtet wurden, gibt es Unterschiede in der Bauweise. Auch die gusseisernen Stützen haben andere Formen. War die Eisenbahngesellschaft nicht so reich, dann hat die Stütze wenig oder gar keine Verzierung.
Der Brückenbau begann in den 1870er-Jahren. Die älteste noch erhaltene Brücke, die 2012 in denkmalgerechtem restauriertem Zustand wieder eingesetzt wurde, gehörte zur Dresdener Bahn und hat das Baujahr 1875. Über die modernste Brücke braust der ICE nach München. Und letztendlich bilden die restaurierten Brücken für Fußgänger auch schon wieder eine neue Bauphase. So kann an den Yorckbrücken die Geschichte des Berliner Eisenbahnbrückenbaus von den Anfängen bis in die heutige Zeit abgelesen werden.
Nach ihrer Errichtung wurden die Brücken mehrfach umgebaut, erweitert, verschoben oder aufgrund gestiegener Lastanforderungen verstärkt oder ersetzt. Neue Brücken kamen hinzu. Die Widerlager auf beiden Seiten der Yorckstraße, auf denen die Brücken ruhen, sind mit Klinker verblendet. Der größte Teil der mit wilder Plakatiererei oder Werbeflächen verunstalteten Ziegelwände unterhalb der Brücken stehen ebenfalls unter Denkmalschutz, weil sie aus der historischen Bauzeit stammen.
Vier Brücken wurden im Januar 2016 demontiert und neben dem Baumarkt Hellweg gelagert. Statt sie einer Renovierung zu unterziehen, verrosteten sie weiter. Jetzt im Herbst 2018 werden sie Stück für Stück nach Hohenschönhausen zu einer Spezialfirma abtransportiert, verstärkt und restauriert. Nach den heutigen Sicherheitsanforderungen könnten die Brücken, auf denen Fußgänger- oder Radwege sind, nicht mehr nur auf den alten Stützen lagern. Würde ein Auto oder gar ein Lastwagen dagegen donnern, wäre eine Brückeneinsturz mit darauf sich befindlichen Menschen möglich. Deswegen werden die Brücken mit Eisenträgern verstärkt. Bis Frühjahr 2019 sollen alle vier Brücken wieder die Yorckstraße überqueren und im Sommer zur Benutzung für Parkbesucher freigegeben werden.
Eine Besonderheit bilden die gusseisernen Stützen einiger Brücken. Die Mehrzahl sind sogenannte Hartungsche Säulen, die nach 1880 gebaut wurden. Sie sind nach dem Architekt Hugo Hartung benannt, der in Berlin tätig war. Es sind gusseiseren Pendelstützen. Oben und unten, also an Kopf und an Fuß, sind sie mit Kugelgelenken beweglich gelagert. Bis die Brücken wieder darauf liegen, kann man bei den Stützen gut die Halbkugel sehen. Normalerweise lagert sie in einer halbrunden Schale auf der Unterseite der Brücke. Mit den leichten Bewegungen der Brücke kann sich die Stütze an Kopf und Fuß nach allen Richtungen mitbewegen. Die Kugel macht es möglich. Die Stütze pendelt sozusagen und braucht deswegen keine Biegekräfte aushalten. Sie wird nur axial auf Druck- und Zug belastet. Dies ist ein enormer konstruktiver Vorteil. Um die Füße der Pendelstützen vor dem Autoverkehr zu schützen, wurden sie mit hässlichen Pollern ummantelt. Die konstruktive Beweglichkeit haben die Hartungschen Säulen dadurch verloren. Ihre Zukunft liegt in der historischen, denkmalgerechten Dekoration. Schwere Lasten müssen sie nicht mehr tragen.

0254.jpg 0256.jpg 0268.jpg 0282.jpg 0286.jpg

Potsdamer-Anhalter-Dresdner-Bahnhof_BusB1877sw.png.jpg


© 2017-2024 Möckernkiez e.V.