Erstellt29.01.2023 13:49
voneva zimmermann
Barbara Stellbrink-Kesy erzählt, in einer Textcollage aus Dokumenten, fiktiven Szenen und in Dialogen, die Geschichte einer Frau, über die 70 Jahre lang nicht gesprochen werden durfte. Bereits früh hatte sie sich – Protoyp der ‚Neuen Frau‘ - geltenden Moral- und Ordnungsvorstellungen verweigert. So hatte sie während des ersten Weltkrieges allein in Berlin gelebt – mit Neunzehn! Sie las „Schundliteratur“ und den Mann, den sie zum Entsetzen ihrer Eltern heiratete, wollte sie später verlassen und ihre Kinder allein durchbringen. Sie glaubte an die neue Zeit. Heute käme sie uns wohl sehr ‚normal‘ vor. Für das bildungsbürgerliche Sozialverständnis rüttelte sie damals – vor allem wegen ihrer losen Sexualmoral - am Kern der politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Ich verzichte bewusst darauf, die Schreckenskammer ein weiteres Mal aufzutun und die Leser*innen durch Grauen zu überwältigen. Statt dessen teile ich Irmgards Verletzlichkeit und stelle in fiktiven Dialogen mit meiner ermordeten Tante Fragen nach den Ursprüngen und dem Einfluss der Eugenik auf das Geschehen, nach Rassismus als Wiederkehr des Verdrängten und nach den Auswirkungen dieser Gewalt heute. Eine interaktive Lesung mit Bildern und Diskussion.