Im Umfeld unserer Möckernkiez-Genossenschaft lebten in früheren Zeiten nicht nur namhafte Persönlichkeiten, an die erinnert werden sollte. Auch eine frühere Parteizentrale ist hier zu finden.
„Im ersten Stockwerk dieses Hauses hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands von 1890 bis 1895 ihre zentrale Geschäftsstelle“. So lautet die Inschrift am Haus Katzbachstraße 9/Ecke Kreuzbergstraße. Nach anderen Quellen existierte die Geschäftsstelle an diesem Ort sogar bis zum Jahr 1900.
Unbestritten ist, dass in diesem Gebäude prominente Parteigrößen ein und aus gingen: August Bebel, Rosa Luxemburg, die 1898 in der Katzbachstraße ihren Parteibeitritt erklärte, oder Ignaz Auer (1846 bis 1907), der eine Art erster Generalsekretär der Partei war und in dessen Wohnung viele Vorstandssitzungen stattfanden.
Auer stammte aus einfachen Verhältnissen. Er erlernte das Sattlerhandwerk, wurde nach Ausrufung eines Streiks aus Kassel verbannt und landete nach Jahren als Wandergeselle 1872 in Berlin, wo er Vorsitzender des „Allgemeinen Deutschen Sattlervereins“ wurde. Diese Tätigkeit war unbezahlt. Auer lebte lange Jahre von der Hand in den Mund und konnte sich zunächst weder ein eigenes Zimmer noch eine Wohnung leisten. 1878 wurde er als Opfer des „Kleinen Belagerungszustandes“ aus Berlin und 1880 aus Hamburg ausgewiesen. Da er bei Arbeitgebern auf der Roten Liste stand, fand er keine Anstellung mehr und musste sich fünf Jahre lang als Möbelhändler in Schwerin durchschlagen.
Auf dem Vereinigungsparteitag von Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein (ADAV) und Sozialdemokratischer Arbeiterpartei (SDAP) 1875 in Gotha war er an der Verschmelzung der beiden sozialdemokratischen Richtungen aktiv beteiligt. 1877 wurde er in den Reichstag gewählt, dem er über drei Legislaturperioden angehörte. Unter Bismarcks repressiven Sozialistengesetzen von 1878 bis 1890 erwarb Auer sich große Verdienste um die Erhaltung der Kampfkraft der Sozialdemokratie, die bei den Reichstagswahlen von 1890 ein Rekordergebnis von fast 20 Prozent einfuhr, die der Partei aufgrund der ungerechten Wahlkreiseinteilung aber nur zu neun Prozent der Sitze im Parlament verhalfen. Die staatliche Verfolgung der Arbeiterbewegung nahm in den Jahren danach noch einmal zu. Von 1890 bis 1912 wurden von deutschen Gerichten gegen „im Dienste der Arbeiterbewegung tätige Personen“ insgesamt 1209 Jahre Gefängnis und 111 Jahre Zuchthaus verhängt (Tenfelde/Ritter in: „Arbeiter im Deutschen Kaiserreich“).
Ignaz Auer, der Zeit seines Lebens unter Rheuma und den Folgen schwerer körperlicher Arbeit und Mangelernährung litt, starb 1907 im Alter von nur 61 Jahren in Berlin. Für Rosa Luxemburg war er „ein echter Sohn des Volkes“. Eduard Bernstein nannte ihn „Auer, der Einzigartige“. Für seinen späteren Grabstein hatte Auer sich 1901 die Inschrift gewünscht: „Auers Bemühen und Bestreben ist es gewesen, Gegensätze, die in der Arbeiterbewegung sich geltend machten, auszugleichen, sie zu überbrücken“.
Norbert Peters