Vernissage und Eröffnung des Erinnerungs-Weges im Gleisdreieckpark am 18. Juli um 16:00 Uhr

„SchriftZug“ von Christine Berndt auf dem eröffneten Erinnerungsweg Gleis 1

Vernissage und Eröffnung des Weges im Gleisdreieckpark am 18. Juli um 16:00 Uhr

Ort: auf Weg und im Unterholz nahe der Südost-Ecke des eingezäunten Ballsportplatzes südlich neben dem Skaterplatz

Eröffnung des Erinnerungswegs Gleis 1 vom Anhalter Bahnhof zum Erinnerungsort in der Möckernkiez-Wohngenossenschaft

Von 1942 bis 1945 wurden vom Gleis 1 des Anhalter Bahnhofs mindestens 9600 jüdische Bürger:innen in sogenannten Alterstransporten, die an den öffentlichen Frühzug nach Dresden angehängt waren, in das Ghettolager Theresienstadt deportiert und, falls sie in Theresienstadt nicht umkamen, von dort aus meist weiter in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert. Seit 2015 arbeitet die AG Erinnerung Gleis 1 des Möckernkiez e.V. im Austausch mit dem Exil-Museum, dem Technik-Museum, der Gedenkstätte Yad Vashem, dem Aktiven Museum und anderen Gesprächspartnern an einem öffentlichen Erinnerungsort auf dem Gelände der Genossenschaft. Im Juli 2024 wurde mit der Installation eines historischen Weichenbocks auf dem Yorckplatz ein Erinnerungsort eingeweiht. Der Senat von Berlin hat die Arbeit der AG finanziell unterstützt.

Seitdem finden im Möckernkiez und in der Umgebung eine Fülle von Veranstaltungen statt, so z. B. am 19.10.2024 das Gedenkkonzert (mit Symposium) von Werken der Theresien städter Komponierenden Ilse Weber, Hans Krása, Viktor Ullmann, Pavel Haas und Gideon Klein, die vor 80 Jahren in Auschwitz ermordet wurden. Am 27. März 2025 wurden zum 80. Jahrestag des letzten „Alterstransports“ vom Anhalter Bahnhof in das Ghettolager Zeichnungen ausgestellt, mit denen der Inhaftierte Leo Haas das Lager dokumentierte. Der Bundespräsident schrieb einen ausführlichen Dankesbrief.

Das Werk „SchriftZug“ auf dem Erinnerungsweg Gleis 1 Am 18. Juli 2025 wird der Erinnerungsort im Möckernkiez erweitert zum Erinnerungsweg Gleis 1 vom Anhalter Bahnhof zum historischem Weichenbock. Die Künstlerin Christine Berndt hat auf die Schienen in ihrem 2012 geschaffenen, 2025 erneuerten 20 m langen Werk „SchriftZug“ Zeilen von Rose Ausländer, Herta Müller und Jakob van Hoddis in Fraktur-Schrift – die Hitler 1941 als angeblich „Schwabacher Judenlettern“ durch die Antiqua ersetzt sehen wollte – appliziert. Die zitierten Worte wurden aus dünnen Kupferbändern ausgestanzt und die Bänder auf den Schienen befestigt. Erst im Blickwechsel von der einen Schiene des Gleises zur anderen ergibt sich aus der Collage ein neuer Text, der auf die Ambivalenz des Ortes reagiert.

Der expressionistische jüdische Lyriker Jakob van Hoddis schrieb 1911 das Gedicht „Weltende“. Seine Zeile „Die Eisenbahnen fallen von den Brücken“ liest sich im „SchriftZug“ wie eine Vorahnung der Zerstörung, die sich in den Weltkriegen und den Deportationen erfüllte. 1942 wurde van Hoddis deportiert und ermordet. Rose Ausländer, jüdische Überlebende des Holocausts, setzte sich in ihrer Lyrik mit dem Trauma des Überlebens in Verlusten auseinander. In ihren Gedichten, wie in den Versen „Ich, Überlebende des Grauens, schreibe aus Worten Leben“, ruft sie die Kraft des Schreibens als Akt des Wider stands und des Überlebens an. Herta Müller, Tochter eines SS-Mannes, thematisiert in ihrem Roman „Atemschaukel“ das Schicksal der rumäniendeutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg. In „Atemschaukel“ wird das Motiv der Deportation in der Figur des Deutschen Leopold thematisiert, der im Viehwaggon in ein Lager transportiert wird.

Der Satz „Ich weiß, Du kommst wieder“, den Leopold im Buch mit auf den Weg bekommt, ist für die Künstlerin Christine Berndt von tiefer Mehrdeutigkeit. Ursprünglich mag dieser Satz Trost und Hoffnung ausdrücken, doch im Kontext der Deportation und der Gewalt des 20. Jahrhunderts bekommt er eine tragische Dimension. Für die jüdischen Opfer des Holocausts gab es keine solche Gewissheit – sie ahnten, dass sie nicht zurückkehren würden. Im Jahr 2025 wirkt der Satz „Ich weiß, Du kommst wieder“ für die Künstlerin aktueller denn je. Mit seiner vielschichtigen Bedeutung erinnert er an die wachsenden Gefahren durch die gesellschaftliche Normalisierung rechtsextremer Tendenzen und an das Erstarken einer Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Ursprünglich Teil einer literarischen Erzählung von Herta Müller, hat sich der Satz auf dem restaurierten Schriftzug von seinem ursprünglichen Kontext gelöst. Heute liest er sich wie eine eindringliche Warnung: „Wehret den Anfängen.“ Denn die Geschichte zeigt: Der Faschismus kehrt zurück – oft getarnt in neuer Form.

Literarische Quellen „SchriftZug“: Herta Müller Ich weiß, Du kommst wieder aus: Atemschaukel Jakob van Hoddis Der Engel schweigt / die Lüfte ziehn wie krank aus: Der Todesengel (IV) die Eisenbahnen fallen aus: Weltende Rose Ausländer (Gedichtband: ich spiele noch) und sangen ein Todesgebet aus: meine Toten schweigen tief Wangen margeritenweiß aus: meine Toten schweigen tief Mondlied trifft mein Herz aus: der Traum lebt mein Leben zu Ende mein Heimweh ist ein Stacheltier aus: meine Toten schweigen tief

Christine Berndt, Bildhauerin und Meisterschülerin der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (KHB) sowie Mitbegründerin der Künstlerinnengruppe msk7, arbeitet als Zeichnerin, Klang- und Video-Künstlerin. Sie entwickelte mehrere Multi-Media-Installationen. So wurde 2008 die „Opernskulptur“ Dorle in einem Berliner Grenzwachturm uraufgeführt. Ebenso fand die Video-Installation „Brief der Jüdin“, die demnächst im Möckernkiez gezeigt werden soll, internationale Aufmerksamkeit.

Nach der Vernissage bei den Schienen (im Unterholz nahe der Südost-Ecke des eingezäunten Ballsportplatzes südlich neben dem Skater-Platz) geht die Versammlung den etwa 700 m langen Weg durch den Gleisdreieckpark zum historischen Weichenbock auf dem Yorckplatz im Möckernkiez und zum Café Möca zum Austausch. Wer auch immer den Gleisdreieckpark nutzt, wird sich auf diesem Weg zukünftig über QR-Codes an Stelen von Grün Berlin über den Sinn dieses Erinnerungswegs und über die Veranstaltungen informieren können, die dazu in der Möckernkiez-Genossenschaft stattfinden. Finanzielle Unter stützung ist willkommen, denn seit 2025 finanziert sich unsere Arbeit ausschließlich durch private Spenden.

Johann Behrens unter Verwendung von Texten Christine Berndts

AG Erinnerung Gleis 1 des Möckernkiez e.V., bescheinigte Spenden mit Verwendungszweck „Erinnerung Gleis 1“ IBAN: DE41 4306 0967 1101 9938 00 GLS-Bank, BIC: GENODEM1GLS