Die Kreuzberg-Urteile

Im Umfeld unserer Möckernkiez-Genossenschaft lebten in früheren Zeiten nicht nur namhafte Persönlichkeiten, an die erinnert werden sollte. Auch historisch bedeutsame Standorte sind hier zu finden, z. B. an einem der Eingänge zum benachbarten Viktoriapark.

An der Kreuzbergstraße 62, etwa 50 Meter neben der Villa Kreuzberg, befindet sich eine Gedenktafel zur Erinnerung an zwei epochemachende Urteile des Preußischen Oberverwaltungsgerichts von 1882. Diese sogenannten Kreuzbergurteile gehören zu den bemerkenswertesten Gerichtsentscheidungen der deutschen Rechtsgeschichte und gelten als Meilenstein der rechtsstaatlichen Entwicklung Deutschlands.
Auslöser war ein Rechtsstreit zwischen einem Grundeigentümer in der Lichterfelder Straße (heute Methfesselstraße) und dem örtlich zuständigen Polizeipräsidium. Das von dem Eigentümer geplante mehrgeschossige Mietshaus stieß auf den Widerstand der Polizeibehörde, denn durch das Gebäude sei die Sicht auf das kurz zuvor auf dem Kreuzberg erbaute Nationaldenkmal für die Befreiungskriege gegen Napoleon (1813-1815) gestört. Auch beeinträchtige der Bau den Ausblick von diesem Denkmal auf die Stadt. Die Polizeibehörde erließ eine Verordnung, die nur eine niedrigere Gebäudehöhe erlaubte.
Das Gericht gab in den Kreuzbergurteilen dem Eigentümer Recht. Die Polizei sei für die Gefahrenabwehr zuständig, nicht aber für ästhetische Fragen. Damit begrenzte das Gericht die Macht der Polizei auf ihre gesetzliche Aufgabe. Der dem zugrundeliegende Gedanke der sogenannten Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gilt in Deutschland noch immer und wird seither als ein unerschütterliches Grundprinzip des Rechtsstaats respektiert. Daher findet sich in unserem Grundgesetz in Artikel 20 Absatz 3 die unmissverständliche Aussage: „(…) die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.”
Die abgebildete Gedenkstele des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg wurde 2022 eingeweiht. Sie wurde gestaltet von der Berliner Designerin und Zeichnerin Petra Müller-Tuncay, die im letzten Jahr mit ihrer Firma „museumsfreunde“ auch die Infotafel für unseren Erinnerungsort Gleis 1 auf dem Gelände der Möckernkiez-Wohngenossenschaft geschaffen hat.

Text und Foto: Norbert Peters