„Schriftzug“: Vernissage im Gleisdreieckpark


Termin Details


Eröffnung des Erinnerungswegs Gleis 1 vom Anhalter Bahnhof zum Erinnerungsort in der Möckernkiez Wohngenossenschaft.

Vernissage von Christine Berndts restauriertem Werk „SchriftZug“ auf den Gleisen in Richtung Theresienstadt am 18. Juli um 16 Uhr

Ort: Gleisdreieck-Park Berlin-Kreuzberg, Südost-Ecke des eingezäunten Basketballsportplatzes südlich vom Skaterplatz  

Erinnerung Gleis 1

Von 1942 bis 1945 wurden vom Gleis 1 des Anhalter Bahnhofs mindestens 9600 jüdische Bürger:innen Berlins in sogenannten Alterstransporten, die an den öffentlichen Frühzug nach Dresden angehängt waren, in das Ghettolager Theresienstadt deportiert und, falls sie in Theresienstadt nicht umkamen, von dort aus meist weiter in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert.

Auf diesem   Gleisdreieck des ehemaligen Anhalter Bahnhofs errichtete von 2009 (Gründung)  bis 2018 die selbstverwaltete inklusive Möckernkiez-Genossenschaft Häuser für fast 1000 ihrer Mitglieder. Seit 2015 arbeitet die AG Erinnerung Gleis 1 des Möckernkiez e.V. im Austausch mit dem Exil-Museum, dem Technik-Museum, der Gedenkstätte Yad Vashem, dem Aktiven Museum und anderen Gesprächspartnern an einem öffentlichen Erinnerungsort auf dem Gelände der Genossenschaft. Am 6. Juli 2024 wurde mit der Installation eines historischen Weichenbocks auf dem Yorckplatz vor dem Forum der Möckernkiez e.G. dieser Erinnerungsort eingeweiht. Der Senat von Berlin hat 2024 die Arbeit der AG finanziell unterstützt. Seitdem finden im Forum und in der Umgebung eine Fülle von Veranstaltungen statt, so z.B. am 19.10.2024 im Forum das Gedenkkonzert (mit Symposium) von Werken der Theresienstädter Komponierenden Ilse Weber, Hans Krása, Viktor Ullmann, Pavel Haas und Gideon Klein: vor 80 Jahren wurden diese Komponierenden in Auschwitz ermordet (siehe Anhang). Am 27. März 2025 wurden zum 80. Jahrestag des letzten „Alterstransports“ vom Anhalter Bahnhof in das Ghettolager Zeichnungen ausgestellt, mit denen der Inhaftierte Leo Haas das Ghettolager Theresienstadt dokumentierte. Der Bundespräsident schrieb einen ausführlichen Dankesbrief. Seit 2025 finanziert sich unsere Arbeit ausschließlich von privaten Spenden.

Das Werk „SchriftZug“ auf dem Erinnerungsweg Gleis 1

Am 18. Juli 2025 um 16 Uhr wird der Erinnerungsort erweitert zum Erinnerungsweg Gleis 1 vom Anhalter Bahnhof zum Erinnerungsort im Möckernkiez. Dieser Weg führt vorbei an stillgelegten Gleisen, auf denen einstmals Züge nach Theresienstadt fuhren.

Die Künstlerin Christine Berndt hat auf die Gleise in ihrem restaurierten Werk „SchriftZug“ Zeilen von Rose Ausländer, Herta Müller und Jacob van Hoddis in deutscher Fraktur-Schrift – die Hitler als angeblich „Schwabacher Judenlettern“ am 4.1.1941 durch die Antiqua ersetzt sehen wollte – auf die Gleise montiert. Die zitierten Worte wurden aus dünnen Kupferbändern ausgestanzt und die Bänder auf den Gleisen befestigt.

Es entstand ein Kunstwerk, das die Ambivalenz des Ortes rund um das Berliner Gleisdreieck aufgreift – ein Areal, um das Gleisdreieck auf dessen Schienen Traum und Alptraum gleichermaßen mitfuhren.

Es kombiniert Zitate aus literarischen Quellen, die auf poetische und doch gebrochene Weise die widersprüchlichen Gefühle des „Reisens“  gerade an diesem Ort versinnbildlichen. Der expressionistische jüdische Lyriker Jacob van Hoddis schrieb 1911 das Gedicht „Weltende“. Seine Zeile „Die Eisenbahnen fallen von den Brücken“ liest sich wie eine Vorahnung der Zerstörung, die sich in den Weltkriegen und den Deportationen erfüllte. 1942 wurde Van Hoddis deportiert und ermordet.

Rose Ausländer, jüdische Überlebende des Holocaust, setzte sich in ihrer Lyrik mit dem Trauma des Überlebens in Verlusten auseinander. In ihren Gedichten wie in den Versen „Ich, Überlebende des Grauens, schreibe aus Worten Leben“, ruft sie die Kraft des Schreibens als Akt des Widerstands und des Überlebens an.

Herta Müller, Tochter eines SS-Mannes, thematisiert in ihrem Roman „Atemschaukel“ das Schicksal der rumäniendeutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Mutter wurde nach Kriegsende, wie viele Deutsche aus der Bukowina, von der sowjetischen Besatzung in Arbeitslagern gefangen. In „Atemschaukel“ wird das Motiv der Deportation in der Figur des „Jacob“ thematisiert, der in Viehwaggons in die Lager transportiert wird. Der Satz „Ich weiß, du kommst wieder“, den Jacob im Buch mit auf den Weg bekommt, ist für Herta Müller von tiefer Doppeldeutigkeit. Ursprünglich mag dieser Satz Trost und Hoffnung ausdrücken, doch im Kontext der Deportation und der Gewalt des 20. Jahrhunderts bekommt er eine tragische Dimension. Für die jüdischen Opfer des Holocaust gab es keine solche Gewissheit – sie wussten, dass sie nicht zurückkehren würden. Herta Müllers Satz erinnert jedoch mit dieser Doppeldeutigkeit an die wiederkehrenden Bedrohungen durch Nationalismus und die Wiederkehr rechtsextremer Ideologien: „Ich weiß, du kommst wieder“ wird so auch zur Mahnung an die Gegenwart und eröffnet den SchriftZug. Das Zitat aus der „Atemschaukel“ steht als literarische Brücke zwischen den historischen Ereignissen und der Gefahr des Vergessens.

Für Michael Sontheimer von der ‚Zeit‘ gab es „keinen Ort in Deutschland, auf dem so bleiern nationale Symbolik lastet wie auf der Brache rund um den Potsdamer Platz“.

DER SCHRIFTZUG AUF DEN SCHIENEN:

  • Ich weiß Du kommst wieder (Herta Müller aus: Atemschaukel)
  • Der Engel schweigt (Jacob von Hoddis aus: Todesengel IV)
  • die Lüfte ziehn wie krank (Jacob von Hoddis aus: Todesengel IV)
  • und sangen (Rose Ausländer „vor den Garben“ aus: meine Toten schweigen tief)
  • Wangen mageritenweiß (Rose Ausländer „ich habe noch nicht aufgehört zu sterben“ aus   meine Toten schweigen tief )
  • ein Todesgebet (Rose Ausländer „vor den Garben“   aus: meine Toten schweigen tief)
  • die Eisenbahnen fallen (Jacob von Hoddis aus: Weltende)
  • Mondlied trifft mein Herz (Rose AusländerSternsturz“ aus: der Traum lebt mein Leben zu Ende)
  • mein Heimweh ist ein Stacheltier (Rose Ausländer „mein Heimweh“ aus: meine Toten schweigen tief)

 

Angaben zur Künstlerin Christine Berndt

Bildhauerin und Meisterschülerin an der KHB sowie Mitbegründerin der Künstlerinnengruppe msk7, arbeitet sie als Zeichnerin, Klang- und Video-Künstlerin. Sie entwickelte mehrere Multi-Media-Installationen. So wurde 2008 die „Opernskulptur“ Dorle in einem ehemaligen Berliner Grenzwachturm uraufgeführt. Sie entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten Helmut Oehring und ließ die Kunstfigur Dorle, als eine aus historischen Quellen zusammengesetzte DDR-Biographie, in einer skulpturalen Performance mit Klang und Bildprojektionen lebendig werden. Ebenso fand die Videoinstallation „Brief der Jüdin“, die demnächst im Forum des Möckernkiezes gezeigt werden soll, internationale Aufmerksamkeit.

Die Eröffnung

Die Eröffnung des Erinnerungsweges beginnt am 18. Juli um 16 Uhr am SchriftZug auf den Gleisen an der Südost-Ecke des hoch eingezäunten Basketballsportplatzes, der südlich neben dem berühmten Skater-Platz liegt. (TelefonNr. Für Ortsfremde: 0163 3210000.)  Nach der Eröffnung an den Gleisen geht die Versammlung den etwa 700 Meter langen Weg durch den Gleisdreieckpark zum historischen Weichenbock im Möckernkiez und zum Café Möca auf dem Kiezplatz zum Austausch.

Wer auch immer den Gleisdreieck-Park nutzt, wird sich auf diesem Weg zukünftig über QR-Codes an Stelen von Grün Berlin über den Sinn dieses Erinnerungswegs und über die Veranstaltungen informieren können, die dazu regelmäßig im Forum der Möckernkiez-Genossenschaft stattfinden.

Spenden willkommen.

Johann Behrens, AG Erinnerung Gleis 1 des Möckernkiez e.V., mit Dank für Texte von Christine Berndt. Rückfragen: johann.behrens@medizin.uni-halle.de

 

Foto: Zwei Schienen (Textinstallation im öffentlichen Raum)
Kupferfolie mit ausgestanztem Schriftzug auf Schienenpaar am Gleisdreieck, Christine Berndt Berlin 2012